Das neue Verjährungsrecht – was muss beachtet werden?

Per 1. Januar 2020 ist das Verjährungsrecht revidiert worden. Das primäre Ziel dieser Revision war eine Verlängerung der bestehenden Verjährungsfristen. Für das Deliktsrecht sind vor allem die Verlängerung der kurzen relativen Verjährungsfrist auf drei Jahre und die Einführung einer zwanzigjährigen absoluten Verjährungsfrist zentral. Es wurden aber auch die Verjährungsfristen für Forderungen aus strafbaren Handlungen überarbeitet. Weiter wurde im Vertragsrecht in Art. 128a OR für Forderungen aus vertragswidriger Körperverletzung oder Tötung ein doppeltes Fristensystem wie im Deliktsrecht eingeführt: eine dreijährige relative Frist und eine zwanzigjährige absolute Frist.

Das neue Verjährungsrecht gilt grundsätzlich ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens. Was ist aber zu beachten, wenn die Verjährungsfrist bereits vor dem 1. Januar 2020 zu laufen begann? Für solche übergangsrechtlichen Konstellationen wurde ein neuer Art. 49 SchlT ZGB eingeführt. Dabei sind folgende Regeln zu beachten:

Regel 1: Der Beginn einer laufenden Verjährung ändert nicht

Das neue Verjährungsrecht ändert nur die Dauer der Verjährungsfrist, nicht aber den Zeitpunkt des Beginns der Frist. Das bedeutet, dass laufende Verjährungsfristen seit Inkrafttreten des neuen Rechts nicht neu zu laufen begannen. Der verstrichene Teil der Verjährungsfrist wird der verlängerten Frist angerechnet. Bei neu eingeführten Fristen, wie zum Beispiel der relativen Frist nach Art. 128a OR, gilt das neue Recht. Es ist fraglich, ob diese neue Frist rückwirkend, d.h. schon vor dem 1. Januar 2020 beginnen konnte. Auf jeden Fall darf dies aber nicht zu einer Verkürzung der Verjährungsfrist führen. D.h. die dreijährige relative Frist beginnt frühestens am 1. Januar 2020 zu laufen (vgl. Regel 3.c.).

Regel 2: Die neue, längere Frist kommt zur Anwendung

Für alle Fälle, bei denen die Verjährung nach dem alten Recht noch nicht eingetreten war, gilt ab 1. Januar 2020 die längere Frist. Der unter altem Recht verstrichene Teil der Verjährungsfrist wird an die verlängerte Frist angerechnet. Diese Regel ist von erheblicher Bedeutung, da die Revision eine Verlängerung der Fristen zum Ziel hatte.

Regel 3: Die neue, kürzere Frist kommt nicht zur Anwendung

Verkürzt die Revision eine bestehende Verjährungsfrist, ist das in der Regel unproblematisch. Die neue kürzere Frist findet übergangsrechtlich keine Anwendung. Nicht eindeutig geklärt ist allerdings die Frage, was gilt, wenn die Revision eine neue Verjährungsfrist einführt, die abstrakt kürzer ist. Dies ist bei der neu geschaffenen relativen Verjährungsfrist bei Personenschäden aus Vertragsverletzung der Fall. Hier sind verschiedene Interpretationsvarianten der übergangsrechtlichen Bestimmung von Art. 49 Abs. 2 SchlT denkbar:

a.       Die ordentliche zehnjährige Frist nach Art. 127 OR gilt als Sperrfrist. Das bedeutet, dass die dreijährige relative Frist zwar auch läuft, der Anspruch aber nicht verjähren kann, bevor die ordentliche zehnjährige Frist eingetreten ist. Bsp.: Die ordentliche Verjährungsfrist beginnt im April 2016 zu laufen und endet somit nach altem Recht im April 2026. Falls nun der Geschädigte zum Beispiel erst am 1. Januar 2020 Kenntnis vom Schaden erhält, wäre nach neuem Recht am 1. Januar 2023 die Verjährung eingetreten. Aufgrund der zehnjährigen Sperrfrist und dem Zweck von Art. 49 Abs. 2 SchlT tritt die Verjährung aber erst im April 2026 ein.

b.       Denkbar ist auch, dass für übergangsrechtliche Sachverhalte die relative Verjährungsfrist nach Art. 128a OR gar nie zu Anwendung kommt.

c.       Als weitere Lösung kommt in Frage, dass die dreijährige relative Frist nach Art. 128a OR nur bei Konstellationen zur Anwendung kommt, wo der Geschädigte erst nach dem 1. Januar 2020 Kenntnis vom Schaden erlangt. Hat der Geschädigte schon vor Inkrafttreten der revidierten Verjährungsbestimmungen Kenntnis vom Schaden, beginnt die Frist erst am 1. Januar 2020 zu laufen. Meines Erachtens ist aus Sorgfaltsgründen auf diese für den Geschädigten ungünstigste Variante abzustellen, d.h. für alle Personenschäden aus Vertragsverletzungen sind vor dem 1.1.2023 bei der Gegenpartei Verjährungsverzichte einzuholen.

Nathalie Lang