Ein Fall von «David gegen Goliath»: Manchmal kommt auch ein langer juristischer Streit zu einem guten Ende

Vierzehn Jahr dauerte der Kampf einer ehemaligen Kioskverkäuferin, bis sie endlich die ihr zustehenden IV-Renten erhielt.

Die Klientin, vertreten durch eine advo5-Anwältin, war zehn Jahre lang als Kioskverkäuferin und Kioskleiterin angestellt gewesen, bis ihr das Arbeitsverhältnis wegen schlechten Leistungen gekündigt worden war. In der Folge bezog sie Arbeitslosentaggelder und meldete sich zwei Jahre später bei der Invalidenversicherung an. Im Rahmen des IV-Verfahrens wurden mehrjährige Abklärungen zur gesundheitlichen und erwerblichen Situation getroffen. Schliesslich erhielt die Klientin nach zehn Jahren gestützt auf ein polydisziplinäres Gutachten eine rückwirkende ganze IV-Rente zugesprochen.

Obwohl die Pensionskasse grundsätzlich an den Entscheid der IV gebunden ist, weigerte sich diese, den Entscheid der IV anzuerkennen. Dies einzig aus dem Grund, dass ihr die Verfügung der IV nicht eröffnet worden sei. Die Pensionskasse war aber sehr wohl im IV-Verfahren miteinbezogen gewesen, denn sie hatte gegen verschiedene Vorbescheide der IV Einwand erhoben. Dies war unter anderem auch ein Grund, weshalb das IV-Verfahren so lange dauerte.

Die Pensionskasse stellte sich nämlich bereits im IV-Verfahren auf den Standpunkt, die Klientin sei zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr bei ihr versichert gewesen. Die Arbeitsunfähigkeit sei also erst nach der Kündigung eingetreten.

Die Klientin war gezwungen, gegen die Pensionskasse Klage vor Versicherungsgericht einzuleiten. Damit eine Pensionskasse leistungspflichtig wird, muss die Arbeitsunfähigkeit, die zur Invalidität führt, während des Vorsorgeverhältnisses eingetreten sein (Art. 23 lit. a BVG). Kernfrage des Prozesses war also der Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit. Das Problem war, dass während des Arbeitsverhältnisses keine echtzeitlichen Arbeitsunfähigkeiten attestiert wurden. Die Klientin hatte während ihrer Anstellung als Kioskleiterin keine krankheitsbedingten Absenzen. Das Bundesgericht sieht in einem solchen Fall vor, dass von einer echtzeitlich attestierten Arbeitsunfähigkeit nur abgesehen werden könne, wenn andere Umstände den Schluss nahelegen würden, dass objektiv betrachtet gesundheitliche Gründe für eine arbeitsrechtlich in Erscheinung getretene Leistungseinbusse zu bejahen seien (BGer 9C_333/2018; 9C_765/2018).

Die Klientin litt seit ihrer Geburt an diversen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die auf eine Persönlichkeits- und Verhaltensstörung zurückzuführen waren. Sie war der Meinung, ihrer Arbeitgeberin sei der Leistungsabfall aufgefallen, denn sie habe vor der Kündigung ihre Arbeitsleistung bemängelt. Diese schlechte Arbeitsleistung sei ein Resultat ihrer Erkrankung gewesen und habe zur Kündigung geführt.

Da echtzeitliche medizinische Beurteilungen fehlten, nahm das Gericht eine Gesamtwürdigung vor. Die in den Akten liegenden medizinischen Akten waren zum Teil widersprüchlich. Das Gericht stimmte aber der Argumentation der advo5 Anwältin zu, es sei der Klientin nur dank hohem Integrationswillen und hoher Leistungsbereitschaft gelungen, so lange im Erwerbsleben tätig zu sein. Dies sei nur deshalb möglich gewesen, weil sie nicht im Team habe arbeiten müssen und einen grossen Teil ihrer Arbeitszeit alleine auf der Verkaufsstelle verbracht habe. Diese Bedingungen hätten ihrer krankheitsbedingten Persönlichkeitsproblematik gut Rechnung getragen, bis eine Akzentuierung eingetreten sei, die zu einer massgebenden Leistungseinbusse geführt habe, was zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses geführt habe. Die latente Arbeitsunfähigkeit habe sich erst manifestiert, als sie den Anforderungen und Belastungen als Kioskleiterin nicht mehr gewachsen gewesen sei.

Das Gericht folgte der Argumentation der Klägerin und kam zum Schluss, dass die Arbeitsunfähigkeit während der Anstellung als Kioskverkäuferin eingetreten sei. Deshalb sei die eingeklagte Pensionskasse leistungspflichtig. Mit diesem Urteil kam dieser Fall, der jahrelang andauerte, schliesslich doch noch zu einem guten Ende, denn die Klientin hatte mit ihrer Klage Erfolg, und es wurde ihr rückwirkend per 1. August 2007 eine ganze Invalidenrente der Pensionskasse zugesprochen.

 

Nathalie Lang

Sekretariat advo5